Es ist merkwürdig. Seit ungefähr zwei Jahren wache ich hin und wieder mit dem Gedanken auf, dass Paul McCartney bald sterben wird. Nicht sehr oft. Aber schon so ein- bis zweimal im Monat. Ich mache die Augen auf und dann ist das das Erste, was mir in den Kopf schießt. Paul McCartney wird bald sterben. Und dann bin ich natürlich traurig. Letzten Freitag ist mir das wieder passiert.
(Ich, wie ich nach Paul McCartneys Tod in der Lokalzeitung von meiner Trauer erzähle.)
Der Fakt, dass Paul McCartney irgendwann das Zeitliche segnen wird, ist erstmal keine Überraschung. Da müssen wir ja früher oder später alle durch. Und der Mann ist 80 Jahre alt. Da ändern auch seine vegane Ernährung und seine knallharte Daily-Health-Routine nichts dran.
Wobei er schon eher nach Mitte 60 als nach 80 aussieht.
Na ja jedenfalls immer wenn ich mit dem Gedanken, dass Paul McCartney bald sterben wird, aufwache, höre ich auf dem kurzen Weg in mein Büro (ziemlich genau 15 Minuten) diese fünf Songs in folgender Reihenfolge:
Getting Better (die eine problematische Line versuche ich auszublenden)
Maybe I’m Amazed (der erste Akkord nach dem Intro bringt mich um den Verstand)
Heart Of The Country (Linda!)
Temporary Secretary (im Jahr 1980 muss der total krass geklungen haben)
Manchmal tausche ich einen aus und packe entweder “Coming Up” oder “The Long And Winding Road” (natürlich nicht die Phil Spector-Version. Die mag Paul ja auch nicht.) mit rein.
Wenn ich die fünf Songs gehört habe, bin ich zwar immer noch traurig, aber zumindest habe ich 15 Minuten mit Paul McCartney verbracht.
Paul McCartneys Kompositionen sind absolut magisch. Mir fehlen die Worte, um das besser zu beschreiben. Ich habe jetzt auch keine Lust, Zeit damit zu verschwenden. Zeit ist ja gerade zu wenig vorhanden. Alles in einen Song, in eine Line, eine Melodie reinzuhauen, das können viele gut. Aber wenige können das so gut wie Paul McCartney.
Der weltgrößte Paul McCartney-Fan bin ich aber trotzdem nicht. Also ich bin schon ein sehr großer Fan, aber ich weiß zum Beispiel nicht, wann er Geburtstag hat oder wie sein Vater heißt oder ob er eher Team Katze oder Team Hund ist. Ich kenne ja auch nicht mal alle seine Songs. Wie soll das auch gehen? Der Mann macht seit 60 Jahren nonstop Musik. Sein Einfluss auf die Popkultur ist gigantisch und für mich in Gänze absolut nicht greifbar.
Als ich 14 Jahre alt war, habe ich mal den kompletten Beatles-Katalog via Torrent heruntergeladen. Sehr zum Ärger meines Vater, der unsere ISDN Leitung dann für mehrere Wochen erstmal nicht nutzen konnte. Das hat wirklich ewig gedauert und durfte unter keinen Umständen abgebrochen werden. Bis heute bin ich verwundert, dass er nicht einfach den Stecker gezogen hat. Muss ich ihn bei Gelegenheit mal drauf ansprechen.
Danach habe ich alles per 1-fach Brenner auf Rohlinge gebrannt. Das hat nochmal mehrere Tage gedauert und war ein Heidenaufwand. Die Cover mussten dann ja auch noch gedruckt und ausgeschnitten werden. Absoluter Irrsinn war das. Na ja und als alles fertig war, habe ich die CDs (ich weiß nicht mehr, wie viele es genau waren, es waren aber wirklich sehr viele) meiner damaligen Freundin geschenkt. Als überforderter Teenager war das für mich ein völlig logischer Vorgang, um meine Liebe zu zeigen. Ob sie sich darüber gefreut hat, weiß ich nicht. Die Übergabesituation war auf jeden Fall etwas merkwürdig. Sie stand da mit sehr, sehr vielen CDs im Arm und wusste nicht so richtig, was sie sagen soll. Die Beziehung hielt nicht allzu lang.
Jedes Mal, wenn ich wieder von Paul McCartneys bevorstehendem Tod aufgeweckt werde, checke ich seine Homepage nach Tourdaten. Ich habe ihn noch nie live gesehen.
Leider gab es auf der Homepage in den letzten Jahren keine Konzerte in meiner Nähe. Um ehrlich zu sein, waren da schon länger generell keine Konzerte mehr. Der Mann ist 80 Jahre alt.
Letztes Jahr hat er aber noch auf dem Glastonbury Festival gespielt. Ich war den ganzen Tag aufgeregt und saß abends wie ein kleiner Junge vor dem Fernseher. Und dann stand er auf dieser Bühne und vor ihm die 100.000 Menschen. Und er sah so gut aus und klang so gut – klar, etwas kratzig und die hohen Töne passen nicht mehr alle, aber hey, der Mann ist 80 Jahre alt – und er hatte so viel Spaß und ich hatte so viel Spaß. Und als er dann zusammen mit John Lennon “I’ve got a feeling” gesungen hat, da hatte ich Tränen in den Augen.
Das war nicht das erste Mal, dass ich wegen Paul McCartney Tränen in den Augen hatte. Peter Jacksons fast achtstündige Dokumentation “The Beatles: Get Back” habe ich quasi in einem Stück geschaut. Ich fand die absolut überwältigend. Und am Ende, als die vier Beatles auf dem Dach stehen und Paul McCartney so schelmisch lacht, als die Polizisten durch die Tür kommen, da hatte ich auch Tränen in den Augen.
2007 hat Paul McCartney einen Song veröffentlicht, in dem er beschreibt, wie er sich seine Beerdigung so vorstellt:
At the end of the end
It′s the start of a journey
To a much better place
And this wasn’t bad
So a much better place
Would have to be special
No need to be sad
On the day that I die
I′d like jokes to be told
And stories of old
To be rolled out like carpets
That children have played on
And laid on while listening
To stories of old
(The End Of The End – Paul McCartney)
Ich mache mir da nichts vor. Ganz so easy wird das nicht! Vielleicht kann man, wenn es soweit ist, nochmal über die Sache mit dem Doppelgänger sprechen. Ich weiß es nicht.
Ich habe richtig Angst vor dem Tag, an dem ich aufwache und der Gedanke Wirklichkeit geworden ist. Trotz meiner langen Vorbereitung werde ich nicht vorbereitet sein.
Die fünf Songs werden mich an diesem Tag wahrscheinlich nicht retten.
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