88 schwarz-weiße Tasten und eine gute Idee
Seit Kindertagen spielt Sascha Stiehler Klavier, für ihn ist es die erste große Liebe seines Lebens:
„Das Klavier hat alles, was ich brauche, es lässt mich nichts vermissen. Du kannst es laut und leise spielen, die Tasten sanft streicheln oder draufhämmern, du kannst allein spielen oder ein ganzes Orchester damit abbilden. Du kannst damit den Zeitgeist einer ganzen Epoche einfangen und dich zugleich über Genregrenzen hinwegbewegen. Und alles was es dazu braucht, sind diese 88 schwarz-weißen Tasten und eine gute Idee.“
Der Wahlleipziger hat ein Studium für Jazzklavier an der HMT Leipzig absolviert, er ist Teil des Duos Stiehler/Lucaciu und mittlerweile mit Popgrößen wie Clueso, Elif und Max Prosa. Ein eigenes Album hatte er dabei aber immer im Hinterkopf.
„Im Verlauf der Jahre kamen immer wieder Musikerinnen und Musiker auf mich zu und haben mich ermutigt, dieser Idee von einem Soloalbum zu folgen“, so Stiehler.
Letztes Jahr war es nun so weit: am 12. November veröffentlichte Stiehler mit “Solopiano” sein erstes Soloalbum. Darauf macht er das, was er schon immer getan hat: Er schreibt Musik. Aber diesmal ist es eben seine Musik. Die Sprache des Klaviers steht im Vordergrund, nicht der Text eines Musikers. Seine Musik, die wird zum selbst ernannten Ausgleich und Ruhepol.
„Meine Musik klingt, als würde man einem lauten Typen dabei zuhören, wenn er leise ist“, sagt Stiehler.
Durchaus ist „Solopiano“ ein ruhiges Album. Zurückgezogen, schlicht, unaufgeregt, positiv. Die Arrangements malen Bilder im Kopf; entführen in eine neue Welt. Man fühlt sich wohl und angekommen. Die Platte ist der Gegenpart zur hektischen Instagramwelt, zu Inzidenzzahlen, zu Eilmeldungen. Die Songs befreien von der Geschwindigkeit des Alltags und bilden den Boden für den perfekten Tagtraum.
Als Neoklassik würde man die Musik Stiehlers wahrscheinlich beschreiben. Dieser etwas abgenudelte Begriff wird den 10 Songs aber nicht wirklich gerecht. Denn letztlich sind es Popsongs, die zeigen, wie weit man das Genre dehnen und wie ernsthaft und kunstvoll es ausgefüllt werden kann.
Die Playlist
Ravel-Concerto in G Major M.83:II.Adagio assai-Arturo Benedetti Michelangeli
Der Großteil meiner traurigsten Lieblingslieder haben etwas mit meinem Instrument zu tun – dem Klavier. Es begleitet mich seitdem ich denken kann. Über Klassik, Romantik, Jazz oder Pop hat es dieses Instrument immer wieder geschafft stilbildend zu sein. Eine Art Chamäleon der Musikgeschichte.
Dieser zweite Satz von Ravels G-Dur Piano Konzerts berührt mich immer wieder. Es ist die schönste und zugleich längste Melodie die ich kenne.
Und die Interpretation von Michelangeli ist für mich jedesmal purer Genuss.
Richie Beirach – Elm
Kein Pianist war für mich stilbildender als Richie Beirach. Er war mein Professor, aber eben auch Freund und Mentor.
Ich kam als 16 Jähriger zum ersten Mal zu ihm…ein pubertierender Zwickauer trifft auf eine New Yorker Jazzlegende.
Es ging immer zu 100% um Musik, er war Inspiration, Freak und Lehrer in einer Person.
Richie hat ein paar wundervolle Songs geschrieben…ich könnte viele wählen. Elm hat mich jedoch bis heute begleitet und ich spiele diesen Song immer wieder selbst sehr gern.
Brad Mehldau – Exit Music
Ein weiterer Pianist der mich immer wieder fasziniert und inspiriert hat.
Sein pianistisches Können und sein Stil sind einzigartig und wegweisend für alle Jazz Pianisten unserer Zeit.
Ein Song den ich besonders mag ist seine Version Exit Music – im Original von Radiohead.
Keith Jarrett – I loves you Porgy
Noch ein weiterer Pianist, der mich immer wieder begeistert und überrascht. Er kann der virtuoseste Spieler sein, kann aber ebenso mit großer Schlichtheit Melodien interpretieren. Diesen Song mag ich dabei besonders, wie auch das gesamte Album.
Billy Joel – Lullaby (Goodnight, My Angel)
Kommen wir zum ersten Mal zu nicht reiner Klaviermusik.
In diesen Song verliebte ich mich als ich ihn zusammen mit dem großartigen Geiger Daniel Hope interpretieren durfte.
Seitdem begleitet mich dieser Song und er ist einer meiner traurigsten Lieblingslieder geworden.
Max Prosa – Totgesagte Welt
Kurz gesagt: Ich liebe Max. Mit kaum einem anderen Künstler hab ich in den letzten Jahren so viel Zeit verbracht, Konzerte gespielt, im Auto gesessen, im Studio neue Songs eingespielt und ausgedacht.
Seine Texte und Lieder berühren mich immer wieder auf’s Neue und ich finde viel Weisheit darin. Ein Song der uns über all die Jahre immer wieder begleitet ist „Totgesagte Welt“.
Der Song entstand vor über 10 Jahren und bekommt nun eine ganz neue Bedeutung. Selten war die Zeit so totgesagt wie jetzt. Drum ist die Botschaft „Tragt euer Leben in die totgesagte Welt“ für mich von besonderer Bedeutung. Ein wunderschöner Song und absolut empfehlenswert für alle die Max noch nicht kennen sich mit seiner Musik auseinanderzusetzen.
Clueso – Alles zu seiner Zeit
Clueso war der Grund weshalb ich zur Popmusik kam. Bis ich ihn kennenlernte war ich Jazznerd – meine Helden hießen Miles Davis oder Herbie Hancock.
Das ebenso inspirierende, wilde und musikbesessene Typen fast direkt vor meiner Haustür wohnten hat mich damals nachhaltig verändert.
Im letzten Jahr haben wir gemeinsam ein Clueso Piano Album herausgebracht und im Zuge dessen oft „Alles zu seiner Zeit“ miteinander aufgeführt.
Lieder werden oft dann über Jahre hinweg einprägsam wenn man mit ihnen etwas verbindet. Sie hinterlassen wie eine Art Tattoo…lösen wie Gerüche sofort Gefühle aus sobald man den ersten Ton hört oder spielt.
So geht es mir mit „Alles zu seiner Zeit“
Wolfgang Amadeus Mozart No. 23 in A Major Maurizio Pollini, Wiener Philharmoniker, Karl Böhm
Zurück zur Klassik und einer der schönsten Melodien die ich kenne.
Mozart hat am gleichen Tag Geburtstag wie ich, was dazu führte dass ich mich als Kind besonders mit ihm beschäftigte. Nicht unbedingt nur mit seiner Musik sondern mit ihm als Typen. Wenn man ihn heute treffen würde wäre er eine Mischung aus Klaus Kinski, Jonathan Meese und Stephan Hawking. Wer glaubt Klassik sei was für Spießer lese Mozarts Basler Briefe durch.
Zurück zum Stück – diese Interpretation von Maurizio Pollini finde ich besonders schön.
Frédéric Chopin – Nocturne No.2 in E-Flat Minor / Daniel Barenboim
Als Pianist ist Chopin so etwas wie Christiano Ronaldo oder Messi für den Fussballfan. Hier hätte ich gleich ein halbes Dutzend Stücke wählen können.
Hier eines seiner populärsten Stücke.
Comedian Harmonists – Irgendwo auf der Welt
Zum Abschluss etwas ganz anderes. Dieser Song hat mich als Kind traurig gemacht. Fast jedesmal kamen mir die Tränen und ich weiß nicht so recht warum. Das Lied ist in Dur. In der Grundschule würde man sagen, dass das fröhlich bedeutet. Doch über die Jahre stellte ich fest dass das Gegenteil der Fall ist. Die traurigsten aller Lieder sind oft in Dur. Denn sie verbinden das Traurige mit dem Hoffnungsvollen.
Wahrscheinlich war es dieser Zauber, der mich bis heute an diesem Lied berührt.