80 – Tom Taschenmesser

Tom Taschenmesser, Credits Mike Siepmann

Wuppertal ist jetzt vielleicht nicht die erste Stadt, die einem in den Kopf kommt, wenn es um frische, innovative und vor allem gute Musik aus Deutschland geht. Doch nun schon zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen, taucht die Stadt genau in diesem Zusammenhang bei mir auf. Maria Basel, der alte Miserbale Monday Bekannte Jonas David und Tom Taschenmesser – alle drei sind aus dem Bergischen Land und alle drei bekommen gerade sehr viel Aufmerksamkeit für ihre Musik. Und das zurecht!

Tom Taschenmesser schauen wir uns heute genauer an.

Tom Taschenmesser wird wohl oder übel damit leben müssen, dass man ihn als „Singer/Songwriter“ bezeichnet. Das geht insofern in Ordnung, weil er nun mal singt und Lieder schreibt. An dieser Stelle enden bereits die Gemeinsamkeiten mit handelsüblichen Akteuren dieses Genres. Misstrauen und Widerwillen gegenüber allem was harmlos und klassisch schön ist, zieht sich als roter Faden durch seine Lieder und äußert sich bei seinen Konzerten als sensibler, explosiver Kraftakt. Lieder von Tom Taschenmesser sollen immer irgendwem irgendwo weh tun.

Das ist ihm mit seiner Debutsingle durchaus gelungen. Laut und fast schon unangenehm beschreit er die Ungerechtigkeiten, mit denen Frauen Tag für Tag zu kämpfen haben. Starke Message und ein echt starker Idles-esquer Song.

Mit seiner zweiten Single “Niemand Kann Alle Sein” zeigt Tom Taschenmesser seine Erzählerseite. Der Song beschäftigt sich mit dem Streben der Menschen etwas anderes zu sein als man ist und ermutigt zur Aufgabe dieses Anspruchs. “Jeder ist viele, aber niemand kann alle sein” ist eine einfache Feststellung für einen komplizierten Sachverhalt. Du wirst zu dem Menschen der du bist, durch die Menschen mit denen du dich umgibst, die Person, die du schon immer warst, wirst du aber trotzdem niemals los. 

Das Lied klingt wie die unzähligen connections die man so hat, wie die vielen kleinen Rollen, die man so einnimmt: zueinander verstimmt und trotzdem in einem eigenartig guten Flow. 

„Niemand Kann Alle Sein“ erschien am 18. September via die neue leichtigkeit.

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DIE LISTE 

Die traurigsten Lieblingssongs von Tom Taschenmesser

Billie Holiday – Gloomy Sunday

Was geschah bevor die Montage miserabel wurden? Wahrscheinlich ein einsamer Sonntag. Das hier ist die US-amerikanische Version des sagenumwobenen ungarischen Klassikers Szomorú Vasárnap aka. „Das Lied der Selbstmörder“. Wurde auf BBC während des 2. Weltkriegs nicht gespielt (oder nur ohne Text), weil man sich Sorgen um die Moral der Truppen machte. Gruseliger Einstieg, ich weiß, aber was solls.

Bonnie Prince Billy – I See A Darkness

Das ganze Album ist killer und eine Art kleines Heiligtum für mich. Der Titeltrack hier macht mich jedes Mal fertig. Super feinfühliger, versöhnlicher Text, der die Beziehung depressiver Menschen zu sich selbst und ihren Liebsten behandelt, dazu dieser unmittelbare und intime Sound. Kann man kaum besser machen, finde ich. Läuft super selten bei mir, weil eben heilig.

Songs: Ohia – Not Just A Ghost's Heart

Der Song klingt so als würde man das erste Mal seit Tagen die verbrauchte Luft in der versifften Wohnung hinter sich lassen, um mit zittrigen Beinen einen „Spaziergang“ an der „frischen Luft“ zu machen (aka. fünfzehn Minuten in seinem Vierteln umher streunen + Zweieinhalb Zigaretten rauchen) und sich selbst beteuern, dass da noch ein menschliches Herz in der Brust schlägt und nicht das eines Geistes. 
Das ganze Album „ghost tropic“ ist todestraurig und gut.

Bohren & Der Club Of Gore – Fahr zur Hölle

Ich bin ein ziemlich textfixierter Musikkonsument und höre selten bis nie instrumentales Zeug, das hier ist mal eine  von wenigen Ausnahmen. Düster und meditativ, perfekt für die Art von Traurigkeit, bei der jedes Wort schon zu viel Input wäre.
Heißer Bonus-Tipp: diese Mucke hören und traurige/düstere Bücher lesen. Als ich „Der Ekel“ gelesen habe, lief Bohren & Der Club Of Gore mit dem Album „Piano Nights“ oft im Hintergrund und ich kann euch sagen: ist ein richtiger Film der dann läuft.

Ethal Waters – Some of these days

Apropos „Der Ekel“: Der Protagonist bekommt diesen Song in einer Gaststätte zu hören und wird vom Ekel gepackt, dass er und alles um ihn so doll existiert (glaube so war es gemeint vom Jean-Paul). Ein Lied übers grundlos Verlassen-werden und über Stolz.

Aynur – Lawike Metini (Metinilerin Oglu)

DJ, Freundin und Alleskönnerin Gin Bali aka. The Kurdish Ninja hat das letzten zum Beginn eines ihrer Sets gespielt und hat mich damit kalt erwischt. Ich spreche kein kurdisch, kann also nicht wirklich was zum Text sagen, so viel ist aber sicher: wer so singt ist mindestens traurig.

Klaus Hofmann – Der kleine Junge

Da versucht jemand Trost zu spenden und merkt dabei, dass er diesen Trost selber bräuchte - und tröstet trotzdem oder gerade deswegen weiter. „Ich will Gesang, will Spiel und Tanz“ ist safe unter meinen Top 10 der besten deutschsprachigen Liveaufnahmen.

Vera Sola – New Nights

So klingt Trauer, wenn sie in verzweifelte Angst umschlägt. Angst davor, dass diese Trauer nicht endet. So klingt es, wenn man nach vielen schlaflosen Stunden die Augen schließt und weiße Blitze sieht.

Eels – It's A Motherfucker

Ist halt richtiger motherfucker ohne dich, was soll man dazu sagen.

Fehlfarben – Paul ist tot

„Was ich haben will, das krieg ich nicht und was ich haben kann das gefällt mir nicht“

Wenn du so Zeilen schreibst weißt du 1) dass du gut texten kannst und 2) dass du ziemlich traurig bist. An dem Lied lieb ich die Verbindung von Trauer und Wut. Er ist am Boden zerstört und gleichzeitig völlig außer sich und bereit die Innenstadt auseinander zu nehmen.Mächtige Mischung.